Lebensgefühl in der Maxvorstadt
Im Rahmen des Themas: „Lebensgefühl in der Maxvorstadt“ erschien nachfolgender Beitrag in der Kirchenzeitung Markant der Markus-Kirche München Maxvorstadt.
Markant – Kirchenzeitung der evang. Markus Kirche: Thema: Lebensgefühl Maxvorstadt
Sommer, Sonne, Second Hand – Bei Annette Schlagheck haben Wärme und Fröhlichkeit das ganze Jahr über Saison.
Sommer in der Maxvorstadt. Damit verbindet jeder etwas: Das warme Licht um die Pinakotheken. Eine von der Hitze des Tages am Abend noch dampfende Türkenstraße. Stimmengewirr vor den Cafés.
Es gibt Orte, wo der Sommer das ganze Jahr über daheim ist. Wo einem immer diese Wärme und Fröhlichkeit entgegenschlägt. Eine alte Remise aus dem Jahre 1847, einst als Pferdestall genutzt, in der Fürstenstraße 17 ist einer dieser ganz besonderen Orte. Hier hat seit über 25 Jahren ein Second- Hand-Laden sein zuhause. „Fashion & Fantasy“. Der Name klingt nach viel mehr als nach ausmisten, nach verkaufen und kaufen. „Fashion & Fantasy“ ist eine originelle Form des modernen Concept Stores. Eine Anlaufadresse für Menschen mit Gemüt. Eine Institution. Diese betrete ich an einem Donnerstagvormittag das erste Mal. Vor mir sitzen zwei Damen: Karin Lawrence und Annette Schlagheck. Die alte und die neue Eigentümerin. Karin Lawrence hat den Laden nach 25 Jahren an Annette Schlagheck übergeben und kommt weiterhin jeden Donnerstag. Für die alte Kundschaft, die sich über ein vertrautes Gesicht freut. Sie geht mit energischer Stimme ans Telefon und sagt wie aus der Pistole geschossen: „Ihre schwarze Lederjacke ist weg. Sie können Geld abholen“.
Sie weiß genau, wer was gebracht hat und was bereits verkauft ist. Nach all den Jahren ist das tief in ihr drin. Die Mutter von drei erwachsenen Kindern wollte wieder etwas machen. Etwas mit Menschen und mit einem überschaubaren Risiko. Startkapital war keins vorhanden. Was lag da näher als ein Secondhand-Laden?
Das war 1987. Zur Eröffnung verpackte sie Samen von Vergissmeinnicht in kleine Tüten und schickte sie an Freunde und Anwohner. Mit dieser kreativen Idee, einem Kleiderständer und Carla Huberta, einer Schaufensterpuppe, war der Anfang gemacht. Die Kundschaft war wie die Maxvorstadt: nicht homogen sondern vielseitig, jung und alt, wohl situiert und arm. Eine Wohnungslose kam immer wieder vorbei. Bei Karin Lawrence bekam sie Kleider und einen heißen Tee. Man sprach über Gott und die Welt. Die Tischgebete, die Karin Lawrence in ihrer Familie regelmäßig gesprochen hat, bewegten diese Wohnungslose am meisten. Sie hat sie sich alle aufgeschrieben.
Eine weitere Kundin, die immer wieder kam war Annette Schlagheck, die heutige Eigentümerin. Mit fünf Geschwistern ist sie in der Nordendstraße aufgewachsen und somit ein echtes Maxvorstädter Gewächs. Nach einer Ausbildung zur Floristin entschied sie sich, am Münchenkolleg das Abitur nachzuholen. Während dieser Zeit wohnte sie in der Fürstenstraße Nr. 10 und kam täglich auf einen kurzen Schwatz in den Laden. In der Zwischenzeit hat sie als Dekorateurin für Feinkost Käfer gearbeitet und vier Kinder bekommen. Mutter ist sie mit Leidenschaft und doch lagen viele Talente brach. Es war die jüngste Tochter, die die Mutter antrieb wieder zu arbeiten. 2012 hat das künstlerische Multitalent „Fashion and Fantasy“ übernommen. In Nachtarbeit hat sie auch noch pünktlich zur Geschäftseröffnung ihre fröhliche, fast drei Meter große Vogelskulptur angefertigt und vor den Laden gestellt. Nun ziert er den paradiesischen Hinterhof, den Annette Schlagheck hegt und pflegt. Zu den Secondhand Kleidern wurde das Angebot um Accessoires, Geschenke und Blumen stetig erweitert.
Impression mit Mode, Blumen und Accessoires
Auf Bestellung fertigt sie wunderbare Kränze für Beerdigungen und demnächst beherbergt sie unter ihrem Dach noch eine Änderungsschneiderin. Neudeutsch nennt man so ein Konzept Fullservice. Ein besonderes Lebensgefühl bekommt die Kundin gratis dazu. Denn wie ihre Vorgängerin kann Annette Schlagheck wunderbar zuhören und erzählen, ist gewandt und schlagfertig. Gaben, die sie in der Vergangenheit immer wieder einsetzen konnte.
Ende der 80er Jahre, noch vor der Wende, war sie für ihren damaligen Arbeitgeber Feinkost Käfer als Dekorateurin auf einer großen Veranstaltung in Moskau im Einsatz. Das gesamte Team wohnte damals im Hotel Metropol direkt am Roten Platz. Vor dem Hotel stand an diesen Tagen immer derselbe Soldat mit dem für diese Zeit typischen starren Gesichtsausdruck. Annette Schlagheck hatte den Ehrgeiz diesen Mann bis zu ihrer Abreise einmal zum Lachen zu bringen. Sie hat es geschafft! Kurz vor ihrer Fahrt zum Flughafen hat der Soldat nicht nur gelacht sondern auch für sie salutiert. Eine wunderbare Geste kurz vor Glasnost und Perestroika. Und auch die Kunden verlassen den Laden meist gelöst und mit einem Lachen. Und manchmal auch mit einem schönen Sommerkleid.
Im Hinterhof von „Fashion & Fantasy“
Von Johanna Steffani